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Von der Pflicht

Eine Betrachtung | Richard David Precht

E-Book
2021 Goldmann Verlag
176 Seiten
ISBN: 978-3-641-28119-9

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Kurztext / Annotation
Ein dringend notwendiger Weckruf von Deutschlands bekanntestem Philosophen
In den Jahren 2020 und 2021, der Zeit der Covid-19-Pandemie, ereignete sich ein bemerkenswertes Schauspiel. Während der weitaus größte Teil der Menschen Empathie mit den Schwachen und besonders Gefährdeten zeigte, entpflichtete sich eine Minderheit davon und rebellierte gegen die staatlichen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit aller Bürger.

Für Richard David Precht ein Anlass, darüber nachzudenken, was eigentlich die Pflicht des Fürsorge- und Vorsorgestaates gegenüber seinen Bürgern ist und was die Pflicht seiner Bürger. Was schulden wir dem Staat und was sind die Rechte der Anderen auf uns? Die Frage führt ein Dilemma vor Augen: Auf der einen Seite sind wir darauf konditioniert, egoistische Konsumenten zu sein. Und auf der anderen Seite braucht der Staat zu seinem Funktionieren genau das Gegenteil, nämlich solidarische Staatsbürger. Könnte es da nicht hilfreich sein, das Pflichtgefühl der Bürger in der liberalen Demokratie durch zwei Pflichtjahre zu stärken? Eines nach dem Schulabschluss und eines beim Eintritt in die Rente, um allen Bürgern die Möglichkeit zu geben, sich selbst in der Pflicht gegenüber dem Staat und auch gegenüber anderen zu erfahren?

Richard David Precht, geboren 1964, ist Philosoph, Publizist und Autor und einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum. Er ist Honorarprofessor für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. Seit seinem sensationellen Erfolg mit »Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?« waren alle seine Bücher zu philosophischen oder gesellschaftspolitischen Themen große Bestseller und wurden in mehr als 40 Sprachen übersetzt. Seit 2012 moderiert er die Philosophiesendung »Precht« im ZDF und diskutiert zusammen mit Markus Lanz im Nr.1-Podcast »LANZ & PRECHT« im wöchentlichen Rhythmus gesellschaftliche, politische und philosophische Entwicklungen.



Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

1.

In den Jahren 2020 und 2021 wurde Deutschland Teil eines ungewöhnlichen und in vielerlei Hinsicht verstörenden, traurigen, aber auch beeindruckenden Geschehens. Die Covid-19-Pandemie, die weltweit bislang weit über zwei Millionen Tote im Zusammenhang mit dem Virus verzeichnet, ist die größte globale Epidemie seit mindestens fünfzig Jahren. Genauer seit 1968/1970, als die Hongkong-Grippe mutmaßlich zwischen einer und zwei Millionen Menschen tötete, davon möglicherweise 40 000 bis 50 000 Menschen in der Bundesrepublik und in der DDR.

Verstörend ist das Ereignis, weil der weitaus größte Teil der Menschen in Deutschland bislang keine Pandemie erlebt oder wie bei der Hongkong-Grippe oder der Asiatischen Grippe von 1957/1958, diese nicht bewusst wahrgenommen hat. Beide waren weder allgemein bekannt noch ein mediales Ereignis. Seuchen und gefährliche Infektionskrankheiten, so schien es, waren immer weit weg und betrafen das Leben der anderen. Oder sie ließen sich, wie im Fall der »Lustseuche« HIV, an der global bislang fünfunddreißig Millionen Menschen starben, durch Vorsicht und Umsicht so gut wie vollständig vermeiden. In der Ferne und Unsichtbarkeit anderer Gefährdungen und der Amnesie der Massenmedien erscheint die Covid-19-Pandemie deshalb heute als ein einmaliges Ereignis - aufschreckend und verwirrend in einer im historischen und globalen Maßstab einzigartig komfortablen und vergleichsweise friedlichen und friedfertigen Wohlfühlgesellschaft wie in Deutschland.

Man kann das Hereingebrochene nicht deuten und nicht in einen passenden Rahmen einfrieden, der durch Interpretation ordentlich macht, was als außerordentlich empfunden wird. Gott als Strafender und als Ursache einer universalen Vergeltung für begangene Frevel, der so oft in der Geschichte als wohlmeinender Übeltäter hatte herhalten müssen, fällt im gemütssäkularisierten 21. Jahrhundert aus. Die Kirche, die in ihrer Geschichte mehr als einmal zu oft den Jüngsten Tag der Abrechnung, an dem nichts mehr vertagt werden kann, angekündigt hatte, bleibt demütig stumm. Metaphysische Erklärungen und Vergeltungsfantasien greifen ins Leere auch da, wo besorgte Ökologen in apostolischer Mission das Corona-Virus zur Rache der geschundenen Umwelt für die rücksichtslose globale Ausbeutung der Natur verklären. So richtig es ist, dass Menschen ihrer physikalischen und biologischen Umwelt heute größere Wunden schlagen als je zuvor in der Geschichte der Menschheit - ein neuartiges Virus erschafft die Natur deswegen nicht, allenfalls geschieht die Übertragung und Ausbreitung im Zeitalter schwindender Naturräume, dichter Bevölkerung sowie universaler Luftfahrt und Luftfracht schneller. Aber dafür sorgen immer noch Menschen und nicht die rachsüchtige Biosphäre oder die Tierwelt. Corona ist nicht die Antwort auf verletzte Rechte oder auf eine zertrümmerte alte Ordnung, und Umweltschützer tun gut daran, sich als Kryptometaphysiker nicht selbst misszuverstehen. Keine Verfehlung wird durch Covid-19 gerächt. Denn wen oder was rächten die Hongkong-Grippe, die Asiatische Grippe, die Spanische Grippe, die Pest, die Cholera, der Englische Schweiß oder Ebola?

Wie kann ein solches trauriges Ereignis, das auch in Deutschland vielen zehntausend Menschen das Leben gekostet hat, gleichwohl in bestimmter Hinsicht beeindruckend sein? Beeindruckend, ja sogar beruhigend ist es, weil der moderne Vorsorge- und Fürsorgestaat in Deutschland, anders als bei früheren Pandemien, in ständiger Neuabschätzung der Situation versucht, im Einklang mit seinen Bürgern das Ausmaß der Katastrophe einzuhegen und die Zahl der Opfer, die das Virus fordert, zu begrenzen. Das Vertrauen in den liberal-demokratischen Staat ist in den Zeiten der Pandemie mehrheitlich gestiegen - und mit ihm zugleich die Beliebtheitswerte verantwortungstragender Politiker. Beeindruckend aber ist vor allem die in zahlreichen Umfragen bestätigte g