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American Matrix

Besichtigung einer Epoche | Karl Schlögel

E-Book
2023 Carl Hanser Verlag Gmbh & Co. Kg
Auflage: 1. Auflage
832 Seiten
ISBN: 978-3-446-29775-3

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Kurztext / Annotation
Was macht Amerika aus? Karl Schlögels besonderer Blick auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts: die großen Jahre der USA
Karl Schlögel hat als Historiker den Osten nach Europa zurückgebracht. Er hat aber auch intensiv die USA bereist, wo ihn die Weite des Landes genauso faszinierte wie in Russland. 'American Matrix' erzählt, wie Nordamerika von Eisenbahn und Highway erschlossen wurde, Städte und Industrien aus dem Nichts entstanden, Wolkenkratzer in den Himmel schossen - Errungenschaften einer Gesellschaft, die sich frei von allen Traditionen fühlte. Das Versprechen des American Way of Life veränderte die Welt genauso wie das sozialistische Experiment. Karl Schlögels großes Buch beschreibt die USA aus einer einmaligen, überraschenden Perspektive - und erzählt eine Geschichte des 20. Jahrhunderts, wie sie noch nicht zu lesen war.

Karl Schlögel, Jahrgang 1948, hat an der Freien Universität Berlin, in Moskau und Leningrad Philosophie, Soziologie, Osteuropäische Geschichte und Slawistik studiert. Bis 2013 lehrte er als Professor für Osteuropäische Geschichte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. 2016 erhielt er für Terror und Traum (Hanser, 2008) den Preis des Historischen Kollegs. Er lebt in Berlin. Bei Hanser erschienen zuletzt: Der Duft der Imperien. 'Chanel No 5' und 'Rotes Moskau' (2020) und Entscheidung in Kiew. Ukrainische Lektionen (NA 2022).

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet. Nominiert für den Bayerischen Buchpreis in der Kategorie Sachbuch 2023

Vorwort

Was muss passiert sein, dass jemand wie ich, der sich ein Leben lang mit Russland beschäftigt hat, auf die Idee verfällt, ein Buch über Amerika zu schreiben? Vielleicht ist die Antwort einfacher als vermutet: Wer sein Leben lang in der sowjetischen und der amerikanischen Hemisphäre unterwegs war, der blickt anders auf die eine wie die andere Welt. Ich reiste 1970 zum ersten Mal in die USA, war aber 1966 und 1969 bereits in der Sowjetunion unterwegs gewesen. Das ist nun ein halbes Jahrhundert her. Der sowjetische Realsozialismus war für einen linken Aktivisten, der damals mehr von der chinesischen antibürokratischen Kulturrevolution fasziniert war, nicht besonders interessant, und wer es nach dem Internationalen Vietnam-Kongress in Westberlin 1968 mit dem Kampf gegen den Imperialismus ernst meinte, der ging in die USA: The belly of the beast, wie es damals hieß. Die erste Reise ging vor allem in die Zentren der Antikriegsbewegung, in das Amerika der Bürgerrechtler, in meinem Fall besonders zu Kundgebungen und Büros der Black Panther Party, die mit ihrem Konzept, die soziale Frage mit der Rassenfrage zu verbinden, eine neue Perspektive zu eröffnen schien.

Von dieser ersten Reise, der zahlreiche andere folgten, stammen die Eindrücke, die dauerhaft bleiben, so wie das bei ersten Eindrücken oft der Fall ist. Monate lang die USA von Küste zu Küste und von Nord nach Süd durchquerend, das Land durch die Fenster des Greyhound Bus entdeckend, überall freundlich aufgenommen - so ist eine tiefe Sympathie gewachsen, die ich bis heute nicht anders fassen kann als in Goethes berühmter Verszeile in den Xenien: »Amerika, du hast es besser/Als unser Kontinent, das alte,/Hast keine verfallene Schlösser/Und keine Basalte./Dich stört nicht im Innern/Zu lebendiger Zeit/Unnützes Erinnern/Und vergeblicher Streit.« Daran haben auch die auf die dunklen Seiten Amerikas verweisenden Erfahrungen - die Bilder aus den Städten des Rust Belt, die von Drogen und Gewalttätigkeit verwüsteten Viertel, die gottverlassenen Siedlungen irgendwo in einem Tal der Appalachen, die verhängnisvollen Kriege im Irak und Afghanistan - im Prinzip nichts geändert. Man konnte von der Größe und Großzügigkeit Amerikas fasziniert sein, auch wenn man an dem Land unendlich Vieles auszusetzen hatte. Ich habe mich gefragt, woher diese tiefe Sympathie rührte, ob es sich nicht doch um eine Projektion handelte, die alles ausblendet, was zu einem Idealbild von Amerika nicht passt, eine Form von Verdrängung, eine Fluchtreaktion in einer Situation, in der eine Alternative zur freiheitlich-liberalen Lebensform des Westens nicht in Sicht ist.

Für die Rekonstruktion der eigenen Faszination - und vielleicht nicht nur meiner - bleibt nichts anderes übrig als - für einen Augenblick wenigstens - die großen Erzählungen von Aufstieg und Fall des amerikanischen Imperiums erst einmal ruhen zu lassen und jene Stationen noch einmal Revue passieren zu lassen, an denen die dauerhafte Begeisterung für das Land geweckt wurde. Das sind - nicht überraschend - die Pflichtstationen jeder Amerika-Reise, die in jedem Reiseführer verzeichneten Naturwunder, die Sehenswürdigkeiten und Highlights, die jeden Ankömmling aus Europa schockierende und befreiende Weite des Raums, der Eintritt in eine Zeit mit ihrem eigenen Tempo und Rhythmus. Man bewegt sich dabei, ob man will oder nicht, immer schon auf Wegen, auf denen andere vor einem unterwegs gewesen sind. So werden Reisen im Raum zu Reisen durch die Zeit.

Wenn es einen übergreifenden Begriff gibt für das, was mich nie losgelassen hat, dem ich nachgehen musste, dann war es: die Produktion des amerikanischen Raumes, die aus dem nordamerikanischen Kontinent in so kurzer Zeit das Zentrum einer Zivilisation hat werden lassen, die im 20