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Utopien für den Alltag

Eine kurze Geschichte radikaler Alternativen zum Patriarchat | Kristen R. Ghodsee

E-Book
2023 Suhrkamp Verlag
Auflage: 1. Auflage
430 Seiten; Mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Abbildungen
ISBN: 978-3-518-77742-8

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Kurztext / Annotation

»Utopia is back!« Thomas Piketty

Ob Care-Arbeit, Erziehung oder Bildung: Viele Bereiche unseres Alltags sind ungerecht organisiert - zumeist tragen Frauen die Hauptlast. Sie sollen sich um die Kinder kümmern, den Haushalt besorgen, die kranke Verwandtschaft pflegen und ihre ökonomische Unabhängigkeit doch gefälligst für ein Leben in der Kleinfamilie aufgeben.
Im Laufe der Geschichte haben Philosophen, Aktivistinnen und Pioniere nach alternativen Lebensformen gesucht: von den rein weiblichen »Beginenhöfen« im mittelalterlichen Belgien über die matriarchalischen Ökodörfer im heutigen Kolumbien; von der Kommune des Pythagoras bis hin zu Produktions- und Wohngenossenschaften frühsozialistischer Utopisten.
Kristen Ghodsee hat zahlreiche inspirierende Beispiele zu einer radikal hoffnungsvollen Vision versammelt. Einige dieser Experimente waren ein kurzes Leuchtfeuer, andere sind der lebende Beweis dafür, dass eine andere Welt möglich ist. Utopien für den Alltag ist auch ein praktischer Leitfaden für alle, die auf der Suche nach Ideen sind, wie wir gleichberechtigter und glücklicher leben können.



Kristen R. Ghodsee, geboren 1970, ist Professorin für Russische und Osteuropäische Studien an der University of Pennsylvania. Sie schreibt unter anderem für The New York Times, Washington Post und The New Republic. 2019 erschien Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben. Das Buch wurde in vierzehn Sprachen übersetzt. Zuletzt wurde im Suhrkamp Verlag Utopien für den Alltag. Eine kurze Geschichte radikaler Alternativen zum Patriarchat (2023) veröffentlicht.



Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

7Vorbemerkung der Autorin

Ein antiker griechischer Philosoph namens Pythagoras gründete im 6. Jahrhundert vor Christus oder vor unserer Zeitrechnung, also vor etwa 2500 Jahren, in Kroton (inzwischen Crotone) in der heutigen süditalienischen Region Kalabrien eine Kolonie für seine Anhänger:innen. Die meisten von uns kennen Pythagoras wegen des nach ihm benannten Satzes - dass in einem gleichwinkligen Dreieck das Quadrat der längsten Seite gleich der Summe der Quadrate der beiden anderen Seiten ist -, aber er war auch der Urgroßvater des utopischen Denkens. Das Alltagsleben der Einwohner:innen von Kroton ist zwar unter dem Schleier der seither vergangenen Zeit verborgen, aber manches deutet darauf hin, dass sie dort eine einzigartige gemeinschaftliche Lebensweise pflegten und sich dem Studium der Mathematik und den Geheimnissen des Universums widmeten.

In seiner Biografie des Pythagoras aus dem 3. Jahrhundert schreibt der Philosoph Jamblichos von Chalkis über die Pythagoreer: »Gemeinsam gehörte allen alles ohne Unterschied, privat besaß keiner etwas.«1 Indem sie all ihren Besitz teilten, vermieden sie seiner Ansicht nach Zwist und Unfrieden in ihrer Gemeinschaft und bemühten sich um ein harmonischeres, kooperativeres Leben als das ihrer Zeitgenossen. Pythagoras mag sogar als Protofeminist gelten. Theano, wohl die erste bekannte Mathematikerin der Welt, übernahm nach Pythagoras' Tod um 490 v.__Chr. die Leitung der Kolonie. Zu einer Zeit, als Frauen für die meisten Griechen kaum mehr als Gefäße zur Kinderproduktion waren, hielten die Pythagoreer laut Jamblichos Frauen und Männer für intellektuell und spirituell ebenbürtig. Er berichtet zudem, dass das pythagoreische Prinzip, alles unter Freunden 8und Freundinnen gemeinschaftlich zu teilen, den Philosophen Platon, den Autor von Der Staat, beeinflusst habe. In seine Schilderung der idealen Stadt Kallipolis - ein Kroton in größerem Maßstab - bezog Platon nicht nur die Idee des Gemeineigentums ein, sondern auch die Vorstellung, dass Männer und Frauen gleichermaßen geeignet seien, Hüter seines Staates zu sein.

Seit über 2500 Jahren haben diese beiden Schlüsselideen (Gemeineigentum und die Gleichbehandlung von Frauen) zusammen mit anderen, mit denen ich mich in diesem Buch beschäftige, Visionen inspiriert, wie unser Privatleben neu gestaltet werden könnte. Seit der Antike haben diverse spirituelle wie auch säkulare Gemeinschaften über Generationen hinweg mit Möglichkeiten experimentiert, diese Ideale umzusetzen. Wie kann es sein, dass unser häusliches Leben - das, was wir in unserem Heim, mit unseren Familien und in unseren Interaktionen mit unserem Freundeskreis, unserer Nachbarschaft und unseren weiteren Gemeinschaften tun - im Jahr 2023 nach wie vor weitgehend von ausgesprochen ungleichen, sexistischen Traditionen geprägt ist?

Als ich einige Monate nach Ausbruch der Coronapandemie mit der Arbeit an diesem Buch begann, offenbarten die abrupten Schulschließungen, wie stark wir auf unbezahlte Hausarbeit angewiesen sind, um unsere Staaten funktionstüchtig zu halten. Eltern - vor allem Mütter - waren überfordert und erschöpft. Frauen auf der ganzen Welt wachten auf und erkannten, dass Jahrzehnte des Feminismus kaum dazu beigetragen hatten, etwas an der gesellschaftlichen Erwartung zu ändern, dass Mütter, Schwestern, Ehefrauen und Töchter sich um kleine Kinder, alte Eltern und kranke Verwandte zu kümmern und die emotionale Arbeit zu leisten haben, die Familien in Krisenzeiten zusammenhält: Zoom-Geburtstagspartys planen, virtuelle Beerdigungen organisieren oder den Lieben fern und nah ein offenes Ohr leihen, um ihre psychische Gesundheit zu sichern. Ich habe mich 9gefragt: Wie viele Frauen, die, in den Worten von Jamblichos, »weise waren und das Herz auf dem rechten Fleck hatten«, unter der Flut der Fürsorgepflichten, die ih