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Schattenzeit

Deutschland 1943: Alltag und Abgründe | Oliver Hilmes

E-Book
2023 Siedler Verlag
304 Seiten
ISBN: 978-3-641-28654-5

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Kurztext / Annotation
SPIEGEL-Bestsellerautor Oliver Hilmes über Deutschland und die Deutschen im Jahr 1943 - zwischen Konzerten, Bombennächten und Staatsterror
Das Unheil nimmt seinen Lauf bei Kaffee und Kuchen. Der Krieg sei längst verloren, der »Führer« geisteskrank: Karlrobert Kreiten, 26 Jahre alt, ein hochbegabter Pianist mit goldener Zukunft, verliert im März 1943 ein unbedachtes Wort zu Gast bei einer Jugendfreundin seiner Mutter. Sechs Monate später stirbt er am Galgen.

Kreitens tragisches Schicksal steht im Mittelpunkt von Oliver Hilmes' grandios erzähltem Buch über Deutschland im Jahr 1943. Als bei Stalingrad eine ganze Armee vernichtet wird und Goebbels den totalen Krieg ausruft. Als die Kinder zur Sicherheit aufs Land gebracht werden und Millionen Deutsche ins Kino strömen, um Hans Albers als Münchhausen zu erleben. Als die Städte schon in Trümmern liegen, und noch immer getanzt wird. Als die NS-Vernichtungsmaschinerie auf Hochtouren läuft, die einen vom 'Endsieg' fantasieren und andere versuchen, sich der Diktatur entgegenzustellen. In einem Mosaik von Geschichten und Porträts, kunstvoll komponiert und glänzend recherchiert, lässt Hilmes das dramatische Jahr 1943 wieder lebendig werden.

Oliver Hilmes, 1971 geboren, wurde in Zeitgeschichte promoviert und arbeitet als Kurator für die Stiftung Berliner Philharmoniker. Seine Bücher über widersprüchliche und faszinierende Frauen 'Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Mahler-Werfel' (2004) und 'Herrin des Hügels. Das Leben der Cosima Wagner' (2007) wurden zu großen Verkaufserfolgen. 2011 folgte 'Liszt. Biographie eines Superstars', danach 'Ludwig II. Der unzeitgemäße König' (2013) sowie 'Berlin 1936. Sechzehn Tage im August' (2016), das in viele Sprachen übersetzt und zum gefeierten Bestseller wurde. Zuletzt erschien 'Das Verschwinden des Dr. Mühe. Eine Kriminalgeschichte aus dem Berlin der 30er Jahre' (2019).



Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Stalingrad

Karlrobert Kreiten ist ein ungewöhnlich ruhiges Kind. Wenn andere Kinder auf dem Trottoir spielen oder im Garten herumtollen, hockt er am liebsten still und ruhig im elterlichen Musiksalon direkt unter dem großen Konzertflügel des Vaters. Oft stundenlang. Nicht, dass er dazu gezwungen würde, ganz im Gegenteil. Den Eltern wäre es vermutlich recht, wenn sich ihr Sohn lebhafter zeigte. Nein, der kleine Karlrobert tut dies freiwillig, denn die Musik ist für ihn die beste Geschichtenerzählerin, die er sich denken kann. Und Musik erklingt bei den Kreitens eigentlich immer: Entweder spielt Vater Theo Klavier, oder er komponiert, oder Mutter Emmy singt, oder Freunde sind zu Gast und musizieren auf ihren mitgebrachten Instrumenten. Oft passiert all das auch gleichzeitig - dann sind die Geschichten, denen Karlrobert unter dem Flügel hockend lauscht, besonders spannend, und er träumt sich in andere Welten.

Die Kreitens sind eine richtige Künstlerfamilie. Emmy stammt aus dem Eifeldorf Mayen in der Nähe von Koblenz und hat in Saarbrücken Gesang studiert. Dort lernt sie den sieben Jahre älteren Theo kennen und lieben; die beiden heiraten 1913 und lassen sich zunächst in Bonn nieder. Schon rein äußerlich erinnert Theo an einen zerstreuten Professor: schmales Gesicht, hohe Stirn, die leicht gelockten Haare stehen wie elektrisch geladen in alle Himmelsrichtungen ab. Ist Emmy von zupackender Natur und nahezu unerschöpflicher Vitalität, erscheint ihr Mann eher ruhig und in sich gekehrt. 1916 wird Karlrobert geboren, zwei Jahre später seine Schwester Rosemarie. In dieser Zeit zieht die Familie von Bonn nach Düsseldorf, wo Theo eine Anstellung als Klavierlehrer am Konservatorium findet.

Das emotionale Zentrum der Familie ist Emmys Mutter Sophie, die 1871 als Kind französischer Eltern in Spanien zur Welt kam. Sophie ist früh verwitwet und lebt seither bei Emmy und Theo. Sie spricht mit ihren Enkeln Französisch und bringt Weltläufigkeit und Eleganz nach Düsseldorf. Karlrobert und Rosemarie lieben Sophie und nennen sie zärtlich »Grand'maman«. Oft reist sie mit den Kleinen auch nach Frankreich, wo Verwandte leben. Überhaupt sind die Kreitens ein europäischer Clan, denn Vater Theo ist niederländischer Staatsbürger. Doch das spielt für sie keine Rolle. Man interessiert sich nicht sonderlich für Politik.

Zu Beginn des Jahres 1943 gibt es nicht wenige Musikfreunde, die in dem inzwischen sechsundzwanzigjährigen Karlrobert Kreiten einen der vielversprechendsten Musiker seiner Generation erblicken. Der kleine Junge unter dem Flügel ist wie sein Vater Pianist geworden und hat sich bereits einen Namen gemacht. Wenn Karlrobert seinen bisherigen Werdegang Revue passieren lässt, kann ihm schon etwas schwindelig werden. Mit sechzehn Jahren gewann er 1933 den vom preußischen Staat gestifteten Mendelssohn-Preis. Zwei Jahre später ging er nach Wien, um bei der berühmten Hedwig Kanner-Rosenthal zu studieren. Als seine Lehrerin wegen ihrer jüdischen Abstammung Wien verlassen musste und in die Vereinigten Staaten emigrierte, versuchte sie, Karlrobert zu überreden, ihr zu folgen. »Ich habe das Gefühl, dass Du in U.S.A. einschlagen würdest«, schrieb sie ihm. Doch Karlrobert winkte ab. Er wollte seine Karriere lieber in Europa fortsetzen, darüber hinaus hing er sehr an seiner Familie, die er nicht verlassen mochte. Und so kam er Ende 1937 schließlich nach Berlin, wo er seine Ausbildung bei dem weltbekannten chilenischen Pianisten Claudio Arrau fortsetzte. Für Arrau ist Karlrobert das größte Talent, das ihm jemals begegnet ist.

Schnell fasst Karlrobert im Berliner Musikleben Fuß, seine jährlichen Klavierabende in der Philharmonie sind stets ausverkauft. Wenn er sich an den Flügel setzt und mit atemberaubender Virtuosität Franz Liszts Klaviersonate h-Moll, akrobatische Stücke von Igor Strawinsky oder Sergej Prokofjews diabolische Toccata über die Tasten wuchtet, liegen ihm das Publ