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Auf Schwingen um die Welt

Die globale Odyssee der Zugvögel | Scott Weidensaul

E-Book
2022 Carl Hanser Verlag Gmbh & Co. Kg
Auflage: 1. Auflage
416 Seiten
ISBN: 978-3-446-27473-0

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Kurztext / Annotation
'Scott Weidensaul erhebt mit schnörkelloser Eloquenz die Ökologie auf das Level der Philosophie.' Los Angeles Times
Milliarden Vögel umrunden jedes Jahr die Erdkugel. Der spatzgroße Strandläufer fliegt ohne Halt von Kanada nach Venezuela - das entspricht 126 aufeinanderfolgenden Marathons ohne Nahrung, Wasser oder Schlaf. Dabei ziehen er Feuchtigkeit aus seinen Muskeln und Organen und nutzt das Magnetfeld der Erde mittels einer Form von Quantenverschränkung, die Einstein nervös gemacht hätte.
In den letzten zwanzig Jahren ist unser Wissen über Zugvögel sprunghaft gewachsen. In seinem elegant erzählten Meisterwerk zeigt der preisgekrönte Autor und Ornithologe Scott Weidensaul, dass wir mehr über die Lebewesen auf Erden verstehen, wenn wir uns mit dem Naturwunder über unseren Köpfen beschäftigen. Und wie wir trotz Klimawandel unsere fragilen Ökosysteme schützen können.
'Der preisgekrönte Autor sprüht vor Freude und Begeisterung, ein meisterhafter Erzähler.' The Guardian

Scott Weidensaul, geboren 1959, ist Ornithologe und Autor. Er hat mehr als dreißig Bücher zu Naturthemen verfasst und arbeitet an mehreren großen internationalen Forschungsprojekte zu Zugvögeln mit. Er lebt mit seiner Frau in Pennsylvania.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Prolog

Die Tundra ist vielleicht die prachtvollste, bequemste Matratze der Welt.

Ein wenig feucht ist es schon. Deshalb sollte man Regenhosen und eine Regenjacke tragen, selbst an einem so klaren, kalten Morgen - die Sonne berührt gerade mit ihrem rosa-orangefarbenen Licht die Gipfel der Alaskakette und den in Gletscher gehüllten, massigen Denali (auch Mount McKinley genannt), einen rund 110 Kilometer weiter westlich gelegenen, gewaltigen rosafarbenen Monolithen, der untypischerweise frei von Wolken ist.

Meine drei Begleiter und ich ließen uns mit einem glücklichen Seufzen, die Beine ausgestreckt und die Hände hinter dem Kopf verschränkt, auf das weiche, schwammige Kissen aus Torfmoos, Cranberry-Zwergsträuchern, Rentierflechte und anderen kleinwüchsigen Tundrapflanzen fallen. Die Pause tat uns gut. Wir waren um zwei Uhr morgens in dem hellen Zwielicht aufgestanden, das im Inneren Alaskas als subarktische Mitternacht durchgeht. Um drei Uhr hatten wir uns mit einem wachsamen Auge auf Elche oder Grizzlybären auf die 150 Kilometer lange Schotterstraße begeben, die quer durch die 19.000 Quadratkilometer große Wildnis des Denali-Nationalparks führt. Wir wussten nie, was uns begegnen würde. Am Tag zuvor war ein großes Wolfsmännchen misstrauisch um unseren Lastwagen der Nationalparkbehörde gestrichen, bevor es, nur einen knappen Meter von meinem offenen Fenster entfernt, nervös am hinteren Kotflügel geschnuppert hatte.

Heute hatte es keine solchen Unterbrechungen gegeben. Um vier Uhr, rund 50 Kilometer innerhalb des Parks, nahmen wir unser Gepäck und Bündel von Aluminium-Netzpfosten auf die Schultern und trotteten einen langen Abhang hinunter zu einem Weidendickicht, das sich durch eine eineinhalb Kilometer lange Geländerinne schlängelte. So bequem die schwammige Tundra als Liegekissen ist, so ermüdend ist es auch, durch sie hindurchzuwandern. Mit jedem Schritt sinkt man tief ein, oder man tritt auf verborgene Grasbüschel, während die schienbeinhohen Birken und Weiden sich an Füßen und Beinen festklammern.

»He! He!«, schrien wir, um Elche oder Grizzlybären aufzuscheuchen, die sich vielleicht in dem dichten, drei Meter hohen Gebüsch vor uns versteckten. »Bla bla bla bla«, rief ich unsinnigerweise; was genau man von sich gibt, spielt keine Rolle, Hauptsache man überrascht weder eine Elchmutter, die ihr Junges beschützt, noch verschreckt man einen Grizzly, dessen erste Reaktion vielleicht in einem Angriff besteht. Im Gegensatz zu vielen anderen Wanderern riefen wir aber nie »He, Bär!«. Diese Worte, das werden altgediente Alaskakenner bestätigen, sollten ausschließlich für den Atem stockenden Augenblick reserviert sein, in dem ein Grizzly ganz in der Nähe auftaucht - als Warnung an den Bären, vor allem aber für jeden, der sich in Hörweite befindet.

Heute versetzten wir aber nur eine Familie von Moorschneehühnern in Aufruhr; es waren rund ein halbes Dutzend braune Jungvögel, die in alle Richtungen auseinanderstoben, während die Mutter lautstark ihr Missvergnügen zum Ausdruck brachte. Wir stellten unser Gepäck ab, und ich folgte Laura Phillips, der Expertin des Nationalparks für die Ökologie der Vögel. Sie bahnte sich den Weg in dem scheinbar undurchdringlichen Gewirr der Weiden. Elche haben aus irgendeinem Grund keine Schwierigkeiten, sich darin zurechtzufinden - der feuchte Boden war mit ihren untertassengroßen Fußspuren und länglichen Exkrementhaufen übersät. In der Mitte fanden wir eine schmale, rautenförmige, nur wenige Meter breite Wiese. Sie wogte blau von den stattlichen Blüten von Eisenhut und Rittersporn, die Ränder lila von den Rispen der Weidenröschen.

Wir suchten aber weder Schneehühner noch Wildblumen, sondern Drosseln - nicht um sie zu beobachten, sondern um sie zu fangen. Ich hatte den Denali-Nationalpark schon dreißig Jahre