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Dostojewskij und die Frauen

Ursula Keller; Natalja Sharandak

E-Book
2022 Insel Verlag
Auflage: 1. Auflage
317 Seiten
ISBN: 978-3-458-76875-3

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Kurztext / Annotation

Als junger Mann schüchtern und gehemmt, lernte Dostojewskij erst mit über dreißig Jahren seine erste Ehefrau kennen: Maria Issajewa. »Ungeachtet dessen, dass wir miteinander recht unglücklich waren«, erinnerte sich der Schriftsteller nach ihrem Tod, »konnten wir doch nicht aufhören, einander zu lieben.« Noch zu ihren Lebzeiten begann er eine leidenschaftliche Affäre mit Apollinaria Suslowa, die zum Vorbild seiner »infernalischen« Frauenfiguren wurde. Doch die wohl wichtigste Frau in Dostojewskijs Leben war seine zweite Ehefrau Anna, die als junge Stenographin die Bekanntschaft des damals bereits berühmten Schriftstellers machte und bald zu einer unersetzlichen Mitarbeiterin, seiner Verlegerin und später Biografin wurde.

Zu anderen außergewöhnlichen und starken Frauen hatte Dostojewskij enge freundschaftliche Beziehungen, u.a. mit der Frauenrechtlerin Anna Filossofowa und mit Sofja Andrejewna Tolstaja, der Hausherrin eines der führenden Salons in Sankt Petersburg.

Auf der Grundlage von Erinnerungen, Briefen, Tagebüchern und neuen biographischen Forschungen beleuchtet diese Biografie erstmals, wie die Frauen Dostojewskijs Leben, seine Ansichten über die Rolle der Frau in der Gesellschaft und die Frauengestalten in seinen Werken beeinflusst haben.



Ursula Keller hat Slavistik und Germanistik studiert; zahlreiche Forschungsaufenthalte in Rußland. Sie lebt als freie Autorin und Übersetzerin in Berlin.



Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

1

Späte erste Liebe
»Ich entstamme einer russischen und frommen Familie.«

Michail Andrejewitsch Dostojewskij, der Vater des Schriftstellers, entstammt einem alten verarmten Adelsgeschlecht aus dem Großfürstentum Litauen. Der Name der Vorfahren geht zurück auf das nahe der Stadt Brest gelegene Dorf Dostojewo und findet sich in den Gerichtsbüchern jener Zeit. Ende des 16. Jahrhunderts stand etwa eine gewisse Maria Stefanowna Dostojewskaja vor Gericht, da sie mit Hilfe des gedungenen Mörders ihren Ehemann Stanislaw Karlowitsch ermordet, ihren Stiefsohn Kristof Karlowitsch zu ermorden versucht und ein Testament gefälscht haben soll, um deren Besitz an sich zu bringen. Zugleich sind in der Chronik des Geschlechts auch berühmte historische Persönlichkeiten genannt: Beispielsweise stand ein Fjodor Dostojewskij als juristischer Berater Fürst Andrej Kurbskij zur Seite, dem einstigen Vertrauten und späteren Gegner Zar Iwan IV., des »Schrecklichen«. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts siedelte die Familie in die damals zur königlichen Republik Polen gehörende Ukraine über.

Michail Dostojewskij wird 1789 als ältester Sohn des Priesters Andrej Grigorjewitsch Dostojewskij geboren, der seit 1782 Dorfpope in Wojtowzy im Gouvernement Podolsk ist. Er soll ebenfalls Geistlicher werden und studiert am Priesterseminar in Schargorod. Nach einem Ukas Zar Alexanders I., der anordnete, dass 120 Priesterseminarstudenten zu Ärzten ausgebildet werden sollten, besteht der »zu den Wissenschaften geneigte« Seminarist die Aufnahmeexamina und beginnt 1809 als auf Staatskosten alimentierter Student das Studium an der Medizinisch-Chirurgischen Akademie in Moskau. Im Krieg gegen die Grande Armée Napoleons wird er 1812 mit anderen Studenten zur Arbeit in den Feldlazaretten beordert. Nach Abschluss seines Studiums wird er Regimentsarzt, später Stabsarzt in Moskau.

Anfang 1820 heiratet Michail Dostojewskij die um zehn Jahre jüngere Maria Fjodorowna Netschajewa. Im selben Jahr quittiert der lebenserfahrene und mit Orden ausgezeichnete Militärarzt den Dienst und tritt mit 31 Jahren im März 1821 eine neue Stellung als Oberarzt zweiter Klasse im Marienhospital an. Mit dem im Oktober 1820 erstgeborenen und nach dem Vater benannten Sohn Michail bezieht das Ehepaar dort eine Dienstwohnung, in der am 30. Oktober 1821 der zweite Sohn geboren und auf den Namen Fjodor getauft wird.

Das Marienhospital ist ein Krankenhaus für Arme und liegt am damaligen Stadtrand von Moskau. Diese Gegend wird »Armes Haus« genannt. Ganz in der Nähe befinden sich ein Heim für Findelkinder und ein Irrenhaus. Das von Maria Fjodorowna, der Zarenmutter Alexanders I., Anfang des 19. Jahrhunderts gegründete Armenkrankenhaus ist in einem Monumentalbau im Empirestil untergebracht, dessen hochherrschaftliche Architektur im scharfen Gegensatz zu seinen Patienten steht, vom Leben gebeutelte Randexistenzen der Gesellschaft, die in ihren hellbraunen Krankenhauskitteln gespenstergleich durch den Park spazieren. Den Kindern des Armenarztes ist es verboten, sich den Kranken zu nähern. Aber Fjodor übertritt dieses Verbot immer wieder und unterhält sich, wenn sich ihm die Gelegenheit bietet, heimlich mit den erniedrigten und beleidigten Patienten - besonders gern, wenn dies Knaben in seinem Alter sind.

»Ich entstamme einer russischen und frommen Familie«, schreibt Fjodor Dostojewskij später in seinem Tagebuch eines Schriftstellers, »und meine erste Erinnerung ist die Liebe meiner Eltern zu mir.« Die Dienstwohnung ist beengt und je größer die Familie wird - im Laufe der Jahre folgen den beiden Brüdern fünf Geschwister: 1822 wird die Schwester Warwara geboren, 1825 Andrej, 1829 Vera, 1831 Nikolaj und 1835 Alexandra -, desto weniger Platz gibt es für alle. Andrejs Erinnerungen zufolge, di